3. Oktober 2007

Das Montafon in einem spöttischen Gedicht (1670)

Auszug aus dem Manuskript von Manfred Tschaikner: Ein spöttisches Gedicht über die Gemeinden des Vorarlberger Oberlandes von Rankweil bis Gaschurn aus dem Jahr 1670.

"Daraufhin kündigt der Verfasser an: „Jetzt komme ich ins Montafon hinein." Dort tranken seiner Meinung alle Leute nur gern welschen, also italienischen Wein. Der einheimische war ihnen wohl zu schlecht.
Als man im Montafon ein Nonnenkloster errichten wollte, sei dies auf Grund des Mangels an Jungfrauen nicht möglich gewesen. Die Bewohner des Tals galten nämlich als sexuell sehr freizügig. Bei Frau und Mann gehe es dort sehr ge­schwind zur Sache. Deshalb erzeugten sie auch „manches Nebenkind".
Damit nicht genug, sollen die Montafoner auch auf wirtschaftlichem Gebiet alles eher als träge gewesen sein. Sogar wenn sie sechs Kühe über den Winter zu brin­gen vermochten, genüge ihnen das nicht: Der Mann verdiene sich noch ein Zubrot mit Geigen oder Hackbrettspielen und schicke Frau sowie Kinder zum Betteln von Abfallstoffen aus dem Hanf- oder Flachsanbau.

Von den beiden Nachbargemeinden Galtür und Gaschurn schildert der Ver­fasser eine seiner Meinung nach charak­teristische Begebenheit ausführlicher. So hätten die Tiroler einmal einen Kreuzgang nach Gaschurn unternommen. Andächtig betend und singend seien Männer und Frauen nebeneinander mit den Kreuzen ihres Weges geschritten. Allerdings hätte dabei jeder Zweite sein Paternoster, seine Gebetsschnur, verloren. Als die Geschworenen von Gaschurn vom Vor­haben der Galtürer erfuhren, wollten sie nach altem Brauch ebenfalls ein gutes Werk tun und gingen deshalb mit den Kreuzen auf Galtür zu, und zwar in großer Demut. Jeder Zweite von ihnen soll dabei einen grauen Hut getragen haben. Schließlich begegneten die beiden Züge einander unter einer Tanne im Ganifer, einem Maisäss am Weg von Partenen zum Zeinisjoch. Kaum hätten sie sich er­blickt, hätten sie schon angefangen, über die Gemeindegrenzen zu streiten. Da wollten sie gleich alles in ein Büchlein schreiben.
Eine hochbetagte Frau schlichtete aber den Streit, indem sie erklärte: „Was die Gaschurner als alten Brauch pflegen, das tun die Galtürer auch. Als altes Weib rate ich euch beiden Gemeinden, setzt euch zuerst nieder und esst eine Jause. Dann tut, was ich euch sage: Schlagt euch brav herum, und wer den Kampf gewinnt, der soll in allen Dingen Recht haben." Gleich darauf fielen Gaschurner und Galtürer übereinander her und klopften einander ordentlich die „Häßläuse" - also die Läuse im Gewand - aus. Da aber keine Gruppe die andere besiegen konnte, kam schließlich beiden die gleiche Ehre zu.
Selbst die Geistlichen hielten in dieser Auseinandersetzung erzürnt mit, krümm­ten sich grausam übereinander und bäumten sich gegeneinander auf wie zwei Hähne im „Hennenhaus". Voller Zorn warfen sie sich gegenseitig die Bücher an den „Grind" (derber Ausdruck für Kopf), drohten auch zuzuschlagen, zerrissen einander Hosen und Kutten, so dass schließlich die Bauern die Streithälse auseinander halten mussten, sonst hätten sie nur mehr zerrupfte geistliche Herren gehabt. Am Schluss einigten sich die beiden Parteien darauf, den Streit nicht weiter zu treiben. Auch sollte man über den Vorfall nicht viel Aufhebens machen, denn es müsste sonst wohl jedermann lachen. Dann knieten sie nieder und beteten eine Litanei, damit ihnen der Kreuzgang weder Nutzen noch Schaden bringe. Schließlich gingen beide Parteien auf ihren Wegen in die Kirche beten und legten sich schlafen.

Gleich anschließend an diese Geschichte führt der Autor ein weiteres Ereignis aus Gaschurn an: Erst vor kurzem, am Ge­orgstag, dem 23. April, habe es sich be­geben, dass eine Frau niederkam. (Die damit verbundenen Ereignisse seien „gewisslich" geschehen, obwohl sie der Verfasser des Gedichts nicht selbst mit­erlebt habe. In den Gaschurner Matriken sind jedoch erwartungsgemäß vom 22. April bis 17. Mai 1670 keine Taufen ver­merkt.) Mit viel „Geläuf" und „Weiberwesen" habe die Hebamme das Kind empfangen. Da habe sich große Freude verbreitet. Alle Frauen hätten das Neugeborene auf dem „Sitzte", also auf dem Hinterteilchen, ge­kost. Wenn es ein Knäblein gewesen wäre, hätte es bekanntlich dort in der Nähe ein „Spitzle" gehabt. Darauf achte­ten die Leute aber nicht. Schnell lief die Hebamme in den Speicher, um dem Vater die frohe Botschaft zu verkünden, dass ihm ein Knäblein geboren worden sei. Dafür erhielt sie traditionellerweise auch ein „Mettenbrot" als Belohnung. Die Hebamme schlug dem Vater vor, er solle das Kind nach dem Tagesheiligen Jöri (Jörg) taufen lassen. Kaum hatte der Vater die Botschaft vernommen, rannte er sogar barfuß wie der Wind das Tal hinaus, um das Ereignis dem Pfarrer zu melden. Dann bestellte er die Taufpaten. Schon eilte man zur Taufe, lobte Gott und nannte dem Herrn Pfarrer den Namen, den man sich für das Kind wünschte; Dem Tagesheiligen entsprechend sollte es Jöri heißen. Dann begab man sich nach Hause und verspeiste, nachdem jeder ganz feierlich Platz genommen hatte, das Taufmahl. Irgendwann war es dann an der Zeit, dass die Pflegerin das kleine „Jörili" wickelte. Dazu nahm sie zwei Schmalztücher - also nicht gerade kleine Tücher, in denen man die Alpbutter ins Tal transportierte. Dabei betrachtete die Pflegerin das kleine „Gestältlein" näher und stellte fest, dass der Jöri ein „Maidle-Spältle" hatte. Sofort sprang das anwesende Volk vom Tisch auf und erstarrte: Tatsächlich, das Kind war statt einem Knäblein ein Mädchen! Sofort liefen zehn Männer und zwanzig Weiber, fünf Hackbrettler und vier Geiger wie das Wütende Heer dem Pfarrhof zu. Das Wütende Heer galt als eine mythi­sche Erscheinung, die zu gewissen Zeiten an bestimmten Orten mit Getöse und als große Gefahr für jene, die ihm zufällig begegneten, gesehen worden sein soll. Dem entsprechend erschrak auch der Gaschurner Pfarrer zutiefst. Ihm trat schon der kalte Schweiß aus den Poren, denn er meinte, man wolle ihn fangen.
Dass auch die Leute im Inneren Montafon mit den Pfarrherren nicht immer zimper­lich umgegangen sind, ist vielfach be­legt. Als der Geistliche aber erfuhr, worum es ging, wusste er schnell Rat. Damit man den bereits vergebenen Tauf­namen weiterhin verwenden konnte, nannte er das Kind nun einfach „Jerina". Zum Schluss der Geschichte meinte der Autor: „Ich will darüber nicht mehr viel Wesens machen, denn ihr habt jetzt ge­nug von diesen Weibsbildern."

Anschließend kommt der Verfasser noch einmal auf das Montafon allgemein zu sprechen. Dabei betont er, dass im gan­zen Tal von St. Anton bis Gaschurn „manche schlechte Schuld verloren" gehe, denn es gebe dort große Gauner und arge Witzvögel. In Bludenz lernten sie, entsprechende Beute zu angeln. Dorthin zitierten sie einander nämlich stets vor Gericht, um ihre Schattenfechtereien durchzuführen. Dieser Hang zur Streitsucht wird von Ludwig Vallaster noch 1980 als das „Nationallaster" der Montafoner bezeichnet.
Des Weiteren erwähnt der Schlinser Au­tor, dass die Montafoner viel Schmalz ins Tirol führten, das dort als Mangelware galt. Dabei gehe es den Talbewohnern gut: „Hoho, da singen die Vögel wohl!" Außerdem verfügten sie über viel wel­schen Wein und Böller. Unter diesen Umständen - schreibt der Verfasser des Gedichts - wolle er lieber Richter zu Blu­denz sein als Müller."

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